Das Jahr ist erst wenige Tage alt und Sarah Vogel hat schon eine neue persönliche Bestleistung aufgestellt. Das klingt erst einmal wenig verwunderlich. Schließlich eilte die Stabhochspringerin in letzter Zeit von Erfolg zu Erfolg. Auf den Triumph beim Europäischen Olympischen Jugendfestival im Jahr 2019 folgte 2021 der Titel bei der U20-EM. Europaweit sprang im vergangenen Jahr keine U20-Athletin höher als die Sportlerin von der LG Seligenstadt (4,30 m). Aber die neue Bestleistung ist dann doch etwas ungewöhnlich. Denn die 19-Jährige war beim WinterCup in Frankfurt am Main als Sprinterin gemeldet und lief über 60 Meter in 7,83 Sekunden ins Ziel.
Vor drei Monaten wurde Vogel am Ellbogen operiert. Obwohl sie schon wieder mit dem Stab trainiert, wird sie in diesem Winter keine Stabhochsprung-Wettkämpfe bestreiten. „Es ist alles wie geplant verheilt, aber ich habe noch einen langen Weg vor mir“, sagt die Athletin. Bei dem Start in Frankfurt ging es ihr darum, einfach mal wieder aus der Komfortzone herauszukommen und ihr aktuelles Aufbautraining in einen Wettbewerb umzuwandeln. Schließlich ist Sarah Vogel ein absoluter Wettkampf-Typ. Ihre besten Sprünge ruft sie genau dann ab, wenn es zählt – auf nationaler Bühne bei der U20-DM oder eben in Tallinn im vergangenen Sommer bei der U20-EM. So wächst ihr Konto der erfolgreichen Sprünge immer weiter an. Ingesamt konnte sie in Wettbewerben bereits neunmal über 4 Meter springen. Bald steht also der 4-Meter-Flug Nummer 10 an. „Eine schöne Spielerei“ nennt Vogel solche Statistiken. Sie fokussiert sich momentan aber gar nicht so sehr auf konkrete Zahlen und Höhen. „Mein Ziel für die Zukunft ist vor allem, noch konstanter zu werden. Denn nur aus stabilen Leistungen heraus kann eine neue Spitze entstehen“, sagt Vogel.
Dabei wird sie besonders von einem Duo unterstützt: ihrem Vater Michael Vogel und Trainerin Nastja Steinbeck. „Die Beiden teilen sich das Training auf. Bei meinem Vater geht es um den körperlichen Fokus, um Kraft und Laufen. Bei Nastja steht die Stabhochsprung-Technik im Mittelpunkt.“
Hohe Leistungsdichte
Weltweit sind im vergangenen Jahr einzig drei US-Amerikanerinnen noch höher gesprungen als Sarah Vogel. Bisher hatte die Seligenstädterin allerdings nicht die Chance, sich mit dieser US-Konkurrenz in einem Wettkampf direkt zu messen. Weder die USA noch Deutschland hatten Teams zur U20-WM nach Nairobi geschickt. Einen großen Nachteil sieht Vogel darin aber nicht. „Es gibt hier in Deutschland um meinen Jahrgang herum viele gute Springerinnen und somit eine hohe Leistungsdichte“, erzählt die U20-Europameisterin, „wir haben sozusagen Weltspitze zu Hause.“
Sarah Vogel blickt aber auch ganz genau auf die aktuellen Top-Frauen des Stabhochsprungs. Jedoch beschäftigt sie sich weniger mit den Leistungen, die diese heute abrufen. „Ich schaue darauf, was sie in meinem Alter gemacht haben. Manche waren schon total früh erfolgreich, andere, wie zum Beispiel Olympiasiegerin Katie Nageotte, haben erst spät einen Leistungsschub bekommen“, berichtet Vogel, „ich finde das total interessant, dass es nicht den einen Weg zum Erfolg gibt, ganz so wie es ja auch nicht den einen Sprungstil gibt, der bei allen funktioniert.“
Was ihren eigenen Sprungstil angeht, sagt Vogel, dass sie sich mit ihren 19 Jahren und 8 Monaten ganz klar noch in einer Findungsphase befindet. Momentan komme sie mehr über das Athletische und weniger über das Turnerische. Deshalb springt sie meistens auch härtere Stäbe. „Meine Trainerin Nastja ist zum Beispiel eine technisch sehr starke Springerin, deshalb ist die Arbeit mit ihr auch so wichtig. Denn mein Ziel ist es natürlich, dass auf meine athletische Stärke noch eine Top-Technik drauf kommt“, sagt die Nachwuchs-Leichtathletin des Jahres.
Neben der Athletik und der Technik ist da aber noch ein weiterer Faktor, den es unbedingt braucht, um hoch zu springen: Spaß am Sport. Und dass Sarah Vogel viel Freude hat, hört man nur allzu gut heraus, wenn sie vom Stabhochsprung spricht. „Ich liebe am Stabhochsprung vor allem, dass es so sehr um die Harmonie zwischen Athletin und Sportgerät geht“, sagt Vogel, „und es ist immer wieder faszinierend, was für große Kräfte beim Springen wirken.“ Von Menschen, die noch nie mit einem Stab zu einem Flug angesetzt haben, werde sie häufig gefragt, wie toll es sei, aus der Höhe auf die Matte zu fallen. Doch diese Leute muss sie enttäuschen: „Das was Spaß macht, ist nicht so sehr das Runterfallen, sondern das Hochkommen und das Erreichen von immer neuen Höhen.“